NSU: Welche Kontaktpersonen in Nürnberg und München saßen

Foto unterschrift: Fröhliches Beisammensein unter Neonazis – acht Hitlergrüße bei 17 Personen im Gruppenbild vom Februar 1997. Nazi-Grußformeln gehörten auch vor Abtauchen des NSU-Kerntrios in die Chemnitzer Szene zu deren normalen Umgangsformen. In der hintersten Reihe (Mitte) Neonazi-Shopbetreiber und NSU-Geldspender Hendrik L., rechts neben ihm der mutmaßliche Schusswaffenbeschaffer Jan W., schräg vor L. der geständige TNT-Beschaffer Thomas S.

Schon vor Abtauchen des NSU-Trios reichten Achsen der Neonaziszene von Jena nach Chemnitz und nach Baden-Württemberg. Die Szene traf sich zum Feiern und zu Demos. Der bayerische Untersuchungsausschuss überprüft jetzt, welche Helferstrukturen für die Mordserie diese Vernetzung nahelegt.

Ob die feiernden Neonazis ihre rechten Arme zum Hitlergruß reckten, war in der Menge kaum auszumachen. Dafür schallte ihre akustische Grußformel umso deutlicher durch die Gartenanlage „Waldesrauschen“ im Chemnitzer Ortsteil Einsiedel. Die Gartensparte liegt am Fuße jenes Hügels, auf dem zwei Jahrzehnte später das frühere Pionierlager Einsiedel zu einem Wohnheim für Flüchtlinge umgenutzt wurde. Ihr „Sieg Heil“ schmetterten viele aus der Gruppe Neonazis damals gleich mehrfach. Insgesamt 54 Namen von feiernden Rechtsextremisten nahm die Chemnitzer Polizei auf an jenem 18. Mai 1997. Die Liste der registrierten Teilnehmer liest sich nachträglich wie ein Who-is-who im späteren Kriminalfall zum Terrorkomplex NSU, kurz für „Nationalsozialistischer Untergrund“.Thomas S. war da im Mai 97. Etwa zu der Zeit beschaffte er dem NSU-Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe auch den Sprengstoff für jene Bombenbastelei, deretwegen die drei später aus ihrem Heimatort Jena ab- und zunächst in Chemnitz untertauchten. Die Friseuse Mandy Struck feierte im Mai 97 mit, die Beate Zschäpe im Untergrund Papiere und ihren Namen für eine Alias-Identität gab. Armin F. war dabei, der im Verdacht steht, für den ersten Raubüberfall des Trios die ideale Zeit ausbaldowert zu haben. Konkret die, zu der bei seinem eigenen damaligen Arbeitgeber Edeka in der Kappel-Kaufhalle an der Irkutsker Straße in Chemnitz sämtliche Tageseinnahmen eingesammelt wurden. Nur durch das Timing war es möglich, dass die abgetauchten Terroristen gleich bei ihrem Überfalldebüt in dem Supermarkt mit rund 30.000 Mark mehr Beute machten als bei einigen ihrer späteren Banküberfälle.

Auch der Sprengstoffkurier Giso T. feierte in Einsiedel mit

Doch zeigt das „fröhliche“ Beisammensein der Szenekameraden im Frühsommer 1997 vor allem eines: wie überregional vernetzt die Neonaziszene bereits war, ein halbes Jahr vor dem Abtauchen der Bombenbastler Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.

Stefan A. aus Jena feierte in Einsiedel mit, Beate Zschäpes Cousin und der Neonazi, der die Szene-Achse Jena-Chemnitz vormals erst geformt hatte – zusammen mit seinem Chemnitzer Kameraden Markus F., der am Abend des 18. Mai 1997 auch mit von der Partie war. Derselbe Markus F. zog später nach Baden-Württenberg, um auch die dortige Szene mit den Chemnitzer und den Jenaer Neonazis zu verbinden. Auch Giso T. feierte mit, der sich als Kurier für die fast anderthalb Kilogramm Militärsprengstoff Trinitrotoluol (TNT) betätigt haben soll, die Thomas S. dem Trio zur Verfügung stellte. Unter den 54 Feiernden in Einsiedel ebenfalls zugegen war David F. aus Thüringen.

Bei diesem braucht es eine etwas tiefer gehende Betrachtung. Schon die Schäfer-Kommission ging besonders auf David F. ein. Die Kommission war 2011 – also lange vor den ersten Untersuchungsausschüssen – die erste Prüfinstanz zu behördlichen Versäumnissen und Verfehlungen bei der Suche nach den 1998 abgetauchten Bombenbauern.

Warum die Kommission in ihrem Bericht explizit auf David F. hinwies, hatte einen Grund: Immerhin hatte Beate Zschäpe kurz vorm Abtauchen mit ihm eine Affäre gehabt. Angesichts dessen urteilten die Aktenprüfer um den ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer: „Angemerkt sei gleichwohl, dass bei dem Hinweis auf eine Beziehung zwischen Beate Zschäpe und David F. … weitere Maßnahmen angezeigt waren.“ Maßnahmen, die allerdings unterblieben.

Für David F. interessierten sich Ermittler lange wenig bis überhaupt nicht. Nicht nur nach dem Abtauchen der späteren Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998, sondern auch nach November 2011, als der NSU sich nach 13-einhalb raubenden und mordenden Jahren im Untergrund enttarnte.

David F. zog von Jena nach Nürnberg – in jene Stadt, in der die Mordserie des NSU ihren Anfang nahm

Dabei steht David F. im Verdacht, eine Dreh-und-Angelpunkt-Rolle im NSU-Komplex gehabt zu haben. Zum einen zog er zeitweise von Jena nach Nürnberg, in jene Stadt, in der die Mordserie des NSU ihren Anfang nahm. Und wo sich mit drei Getöteten die meisten Opfer dieser Serie konzentrierten. Ob David F. dem NSU-Kerntrio vor oder nach dem Abtauchen in Nürnberg Pforten öffnete? Solchen Fragen versuchte immerhin in diesem Jahr der zweite bayerische NSU-Untersuchungsausschuss nachzugehen, nicht zuletzt in seiner Befragung der in Chemnitz inhaftierten Beate Zschäpe.

Doch nicht nur die Nürnberg-Verbindung David F.s ist von Interesse, sondern auch die in den Thüringer Wald, konkret nach Oberweißbach. Das ist der Heimatort der 2007 in Heilbronn mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter. Immerhin betrieb David F. in Kiesewetters Heimatort eine Gaststätte, die sich als rechter Szenetreff etablierte. Kiesewetter habe er persönlich gar nicht gekannt. Beate Zschäpe habe er seit deren Abtauchen nie wiedergesehen. So sagte es David F. den Ermittlern, die ihn nach 2011 im NSU-Komplex vernahmen. Für ein Nachbohren sahen die Beamten keinen Anlass.

Dabei hätte man vermuten dürfen, dass ein Szeneangehöriger natürlich nicht ohne Not sofort alles offenbaren würde. Und dass David F. der rechten Szene Thüringens zuzurechnen war, hätten vorbereitete Ermittler immerhin wissen können. Sein Gedankengut hatte David F. mehrfach bewiesen, nicht nur mit seinem Szenelokal. Auch mit länger zurückliegendem Verhalten auf einem Campingplatz in Drognitz bei Saalfeld. Bei Zeltnachbarn hatte sich David F. dort hervorgetan, mit Drohungen gegenüber einem dunkelhäutigen Camper: „Neger gehören angezündet“, dokumentierte die Polizei bei dem Vorfall später David F.s Sprachwahl. Auch seine Drohung ist aktenkundig: „Jetzt brennen wir das Zelt des Niggers nieder.“

Dass Nichts-gewusst-nichts-gewesen-Beteuerungen einer solchen Person zumindest mit Skepsis zu begegnen gewesen wäre, schien den David F. befragenden Polizisten auch nach 2011 nicht in den Sinn zu kommen. Selbst dass David F. einen Draht ins engste Helfernetz des NSU hatte, beflügelte seine Vernehmer zu keinem Kreuzverhör.

David F.s Schwester Jacqueline gehört zu den Zeugen, die der aktuelle bayerische NSU-Untersuchungsausschuss in seiner jüngsten Sitzung vernahm. Die frühere Jacqueline F. heißt seit 2006 Jacqueline Wohlleben. Sie ist die Ehefrau von Ralf Wohlleben, jenem ehemaligen NPD-Kreischef in Jena und Thüringer Landesvize der Partei, der inzwischen rechtskräftig als NSU-Terrorhelfer verurteilt ist. Er finanzierte die schallgedämmte Pistole vom Typ Ceska 83, die Mundlos und Böhnhardt bei jedem der Morde an ausländischstämmigen Kleinunternehmern benutzten. Weil diese Waffe, anders als andere Pistolen, jedes Mal zum Einsatz kam, wurden die Morde Ceska-Serie genannt.

Die „räumliche Nähe“ zum Tatort vermerkten die Ermittler als „auffallend“

Mochte sich der bayerische NSU-Ausschuss von der Vernehmung Jacqueline Wohllebens neue Erkenntnisse erhofft haben, solche Hoffnung wurde enttäuscht. Als Zeugin berichtete sie zwar, wie sie Ende der 1990er-Jahre Kontakt zur Skinheadszene in Jena bekam und wie sie Zeit mit Beate Zschäpe verbrachte, als ihr Bruder David F. mit dieser ein Verhältnis hatte. Doch „konnte oder wollte die Zeugin, die in Begleitung eines bekannten Szeneanwalts erschienen war, keine relevanten Angaben zu weiteren Unterstützern des NSU machen“, schätzte Ausschussmitglied Cemal Bozoglu anschließend ein.

Oder auch zu weiteren Unterstützungshandlungen. Immerhin sucht der Ausschuss besonders nach Verbindungen des NSU in Bayern, wo die meisten Morde stattfanden. Und in Bayern wohnte zeitweise nicht nur Jacqueline F.s Bruder David, sondern auch sie selbst. Von 1999 „bis zum 18. Dezember 2001 war Jacqueline Wohlleben (damals noch F. – d. Red.) in 85540 Haar, Wasserburger Straße 35, aufhältig. Sie wohnte somit, verbunden durch die Bundesstraße 304, in ca. elf Kilometern Entfernung zum Tatort München, Bad-Schachener Straße 14, wo der türkische Lebensmittelhändler Kilic am 29. August 2001 ermordet wurde.“ So hatten es die Ermittler des Bundeskriminalamtes festgehalten, als sie nach dem NSU-Auffliegen 2011 einzelnen Strängen des Falls nachgingen. Die „räumliche Nähe“ zum Tatort vermerkten sie als „auffallend“.

Was die BKA-Beamten nicht vermerkten, war, dass Jacqueline F., als sie in München wohnte und arbeitete, unter Umständen viel näher als elf Kilometer an jenem Tatort Bad-Schachener Straße vorbeikam. Zwar führte nicht der Weg zu ihrem direkten Arbeitgeber sie dort vorbei. Jacqueline F. arbeitete bei einer internationalen Speditions- und Transportfirma an der Hofbräu-Allee. Doch hatte dieser Arbeitgeber als Gesellschafter eine weitere Firma, das Container-Depot München, die sich am Wilhelm-Kemmelmeyer-Bogen befindet. Je nach Routenwahl zu dieser Gesellschafterfirma ihres Arbeitgebers mochte der Weg Jacqueline F. über die von der Polizei benannte B 304 in zweieinhalb Kilometern Entfernung vom Tatort durch den Münchner Ortsteil Perlach geführt haben. War die „räumliche Nähe“ von elf Kilometern laut BKA „auffallend“, so fiel die routenbedingte Nähe bislang offenbar niemandem auf. Der Ausschuss befragte Zeugin Jacqueline Wohlleben in seiner jüngsten Sitzung auch nach ihrem Ausstieg aus der NPD im Jahr 2008. Den Grund für den Parteiaustritt wollte die Zeugin indes nicht offenlegen. In einem Punkt jedoch war sie weniger zugeknöpft. Eine Aussteigerin aus der rechten Szene sei sie nicht, übermittelte der Ausschuss später ihre Aussage.

Die Wiese-Gruppe plante 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das neu einzuweihende Jüdische Kulturzentrum in München

Noch einer weiteren Spur versuchte der Bayern-Ausschuss nachzugehen: möglichen Verbindungen der NSU-Terroristen zur sogenannten Wiese-Gruppe. Die nach ihrem Kopf, dem Rechtsextremisten Martin Wiese, benannte Gruppe plante 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das neu einzuweihende Jüdische Kulturzentrum in München. Der Anschlag wurde von Ermittlern vereitelt. Wiese und mehrere seiner Komplizen gingen in Haft. „Ich bin skeptisch, ob alle möglichen Bezüge der Gruppe um Martin Wiese zu dem NSU-Umfeld überprüft wurden. Es gab zum Beispiel eine Geburtstagsfeier für ihn, bei der ein griechischer Mitbürger zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde“, sagt Cemal Bozoglu. „Hier hätte tiefer ermittelt werden und die Ermittlungsergebnisse der Soko Patras und der Soko Teo (zum NSU-Mord am einzigen griechischen Opfer, Theodoros Boulgarides, in München – d. Red.) hätten zusammengeführt werden müssen.“

Ob es zur Zeit der Morde Verbindungen zwischen NSU und der Wiese-Gruppe gab, ist also unklar. Klar dagegen ist, dass spätestens zur Zeit des NSU-Prozesses solche Verbindungen bestanden. Maik E., der Zwillingsbruder des angeklagten Zwickauer NSU-Helfers André E., besuchte den Prozess anfangs regelmäßig als Zuschauer. Begleitet wurde er dabei von Karl-Heinz Statzberger, einem der mitverurteilten Komplizen der Wiese-Gruppe.

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